© Eric Kemnitz

Gewandhaus­orchester Leipzig

Das Gewandhausorchester ist das älteste bürgerliche Sinfonieorchester der Welt. Keimzelle des Orchesters war die 1743 von 16 Adligen und Bürgern gegründete Konzertgesellschaft „Leipziger Concert“. Mit dem Umzug in das Messehaus der Tuchwarenhändler im Jahre 1781 erhielt das Ensemble den Namen „Gewandhausorchester“. Zu den bedeutendsten Gewandhauskapellmeistern zählen Johann Adam Hiller, Felix Mendelssohn Bartholdy, Arthur Nikisch, Kurt Masur, Herbert Blomstedt und Riccardo Chailly. Seit Februar 2018 hat Andris Nelsons das Amt des 21. Gewandhauskapellmeisters inne.

Zwischen dem privaten Konzertunternehmen „Leipziger Concert“ und dem städtischen Knabenchor der Thomasschule bestand von Beginn an eine enge Verbindung. Die Beziehung ist, historisch gesehen, für die Entwicklung des Gewandhausorchesters überaus bedeutsam. Ohne sie wäre das Gewandhausorchester – zumindest vor 1945 – wohl kein städtisches Orchester geworden.

Bis weit ins 19. Jahrhundert haben die Thomaner regelmäßig in den Gewandhauskonzerten mitgewirkt, sie waren über längere Zeiten hinweg gewissermaßen der Gewandhauschor. Umgekehrt war es so, dass die Theater- und Gewandhausorchestermusiker immer wieder bei den musikalischen Darbietungen in den beiden Stadtkirchen St. Nikolai und St. Thomas aushalfen. Für die Kirchenmusik waren eigentlich die Stadtpfeifer verantwortlich, die jedoch regelmäßig weitere Musiker zur Unterstützung der Kirchenmusik verpflichteten. Unter denen befanden sich zunehmend Mitglieder des Theater- und Gewandhausorchesters. Offiziell geregelt wurde die Tätigkeit der Theater- und Konzertmusiker dann mit Amtsantritt von Thomaskantor Johann Adam Hiller im Jahr 1789, der die Stadt dazu bewegen konnte, dauerhaft sieben Aushilfsstellen für das Kirchenorchester zu finanzieren. Hiller, der einstige Gewandhaus-Musikdirektor, der nun zum Kantor und Städtischen Musikdirektor aufgestiegen war, engagierte für diese sieben Stellen durchweg Musiker des Theater- und Gewandhausorchesters. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Kirchenorchester Stelle um Stelle durch Gewandhausorchestermusiker erweitert, sodass bei Amtsantritt von Felix Mendelssohn Bartholdy als Gewandhauskapellmeister (1835) bereits über die Hälfte der Stellen und noch dazu alle führenden Positionen von Musikern des Theater- und Gewandhausorchesters besetzt waren.

Kurz nach Mendelssohns Amtsantritt erfolgte eine tiefgreifende und nachhaltig wirkende Veränderung im administrativen Gefüge des Theater- und Gewandhausorchesters: Die Kernbesetzung – das waren 27 pensionsberechtigte Musiker – wurde im September 1840 zum Stadtorchester ernannt. Diesen Musikern wurde „die Ausführung der Kirchenmusik bei dem Früh- und resp. Nachmittagsgottesdienst an Sonn- und Festtagen in den beiden Hauptkirchen der Thomas- und Nicolaikirche“ übertragen. Mendelssohn legte dem Stadtrat nahe, das Orchester insgesamt anzustellen und nicht nur für die Kirchenmusik als städtisches Ensemble zu verpflichten. Dieser Wunsch wurde jedoch erst viel später verwirklicht: Am 1. April 1920 übernahm der Rat der Stadt alle Mitglieder des Stadt-, Theater- und Konzertorchesters in kommunalen Dienst, d. h. alle Musiker waren von da an städtische Angestellte. Als die Nationalsozialisten ihre Diktatur errichteten, war ihnen das Musizieren der städtischen Angestellten in der Kirche ein Dorn im Auge. Es gelang ihnen, den Thomanerchor und das Stadtorchester aus der Kirchenmusik in St. Nikolai zu lösen. Mit der kriegsbedingten Evakuierung der Thomaner nach Grimma endete auch die Tradition, Kantaten oder sonstige orchesterbegleitete Musik im Sonntagsgottesdienst von St. Thomas aufzuführen. Was zunächst nur der Evakuierung geschuldet war – die Thomaner kamen nur noch sonnabends für die Motette in der Thomaskirche nach Leipzig –, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg beibehalten und zu einer neuen Tradition: Bis zum heutigen Tag führen Gewandhausorchester und Thomanerchor in der Motette am Sonnabendnachmittag eine Bach-Kantate auf; im Gottesdienst wirkt das Orchester nur noch an hohen kirchlichen Feiertagen mit, und die Nikolaikirche spielt im Leben der beiden Ensembles gar keine Rolle mehr.

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Zusammenarbeit von Chor und Orchester auch auf Gastspielen im In- und Ausland, vorwiegend in Japan und Europa, präsentiert. Das erste gemeinsame Auslandsgastspiel führte am 21. November 1952 in die Schweiz. Thomaskantor Günther Ramin dirigierte die Kantaten 1 bis 3 aus Bachs Weihnachts-Oratorium BWV 248. Am 6. September 1977 begann die erste gemeinsame Tournee außerhalb Europas: Chor und Orchester gastierten in Japan. Auf den Programmen der elf Konzerte, die Thomaskantor Hans-Joachim Rotzsch dirigierte, stand allein achtmal Bachs Matthäus-Passion BWV 244. Bis heute geben Gewandhausorchester und Thomanerchor unter der Leitung des Thomaskantors gemeinsam Gastspiele im In- und Ausland. Seit 11. September 2021 ist der Schweizer Andreas Reize 18. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach.