„Der Reisende“ - Uraufführung zum Gedenktag am 9. November

In den Sprechrollen: Ulrich Noethen und Barbara Minichmayr 

Der Roman „Der Reisende“ von Ulrich Boschwitz aus dem Jahr 1938 diente Jan Müller-Wieland als Vorlage für ein bewegendes Werk für Sprecher, Solisten, Chor und Orchester. Am 9. November 2025 erlebt es zum Gedenken an die Reichspogromnacht im Kulturpalast seine Uraufführung.

Der Roman „Der Reisende“ des jüdischen Autors Ulrich Alexander Boschwitz entstand 1938 unter dem unmittelbaren Eindruck der am eigenen Leibe erlebten Ausgrenzung. Die Wiederentdeckung dieses hochdramatischen Textes wurde 2018 als literarische Sensation gefeiert. Er gilt als eines der bedeutendsten literarischen Zeugnisse der NS-Zeit und als wichtige Darstellung der Thematik von Ausgrenzung, Mobbing und Vertrauensbruch im Allgemeinen.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der jüdische Geschäftsmann Otto Silbermann. Er kann es nicht fassen, dass sich Verwandte, Nachbarn, Geschäftspartner, Freunde, Menschen, denen er lange vertraut hatte und die auf Augenhöhe mit ihm umgegangen waren, plötzlich von ihm abwenden, ihn betrügen, ihn denunzieren. Er verliert völlig den Halt und flieht – meist in Zügen – von einer Stadt zur anderen. Seine Frau Elfriede kämpft verzweifelt, um zu retten, was noch zu retten ist, während ihr gemeinsamer Sohn von einem besseren Leben in Paris träumt. Ein Schwager, der sich nach dem Wind dreht, und die harte Realität von Verfolgung und Verrat bestimmen ihre Tage.

Jan Müller-Wieland hat aus dem Roman ein eigenes Libretto für ein Melodram entwickelt, in dem Sprecherinnen und Sprecher, Solisten, Chor, Orchester und Zuspielungen auf eindrucksvolle Weise die Situation des Otto Silbermann und die Atmosphäre von Gewalt und Ungerechtigkeit darstellen, aber auch die Hoffnung, die Sehnsucht und die Menschlichkeit, die selbst in der größten Verzweiflung ihren Platz finden.

Die Musik beginnt mit einem wuchtigen Orchesterklang – wie ein akustischer Rammbock – und macht sofort klar: Hier geht es um Gewalt, um den Übergriff auf Silbermanns Wohnung. Das Orchester ist dabei nicht nur Begleitung, sondern treibt die Handlung selbst voran. Immer wieder blitzt ein kaum hörbares Motiv aus dem Lied Berliner Luft auf – wie ein Funke, aus dem sich alles entwickelt.

Vier Figuren stehen im Mittelpunkt: Herr und Frau Silbermann sprechen nur, sie verweigern jede musikalische Beteiligung. Damit stellen sie sich gegen die Musik, die hier auch für die manipulative Macht des Nationalsozialismus steht. Ihr Sohn Eduard dagegen darf singen: Als Tenor aus dem Exil in Paris bringt er eine utopische, aber auch naive Distanz ins Stück. Der Bariton Becker vereint gleich zwei Gegenspieler in einer Figur.

Der Chor verwandelt sich ständig: mal Echo der Antike, mal teuflische Masse, mal surrealer Kommentar. Sogar Dinge beginnen hier zu singen – Träume werden real, ein Visum wird zur handelnden Figur. Schritt für Schritt treibt der Chor die Handlung bis zum Höhepunkt: der Verhaftung Silbermanns in einem System, das sich in den Wahnsinn steigert – ganz so, wie es Boschwitz schon in seinem Roman erahnte.

Ulrich Noethen und Birgit Minichmayr sind in den Sprechrollen zu erleben, daneben wirken der Philharmonische Chor Dresden und der Kammerchor Cantamus Dresden mit. Gergely Madaras dirigiert die Dresdner Philharmonie.

Die Aufführung findet im Rahmen von „80 Jahre Ende des zweiten Weltkrieges 2025“ statt.